Albanien – allein im Reich der Bären und Wölfe

Es gibt sie hier noch, die wilden Tiere. Wölfe, Bären, Luchse, Wildkatzen und auch Wildschweine leben in den albanischen Wäldern. Und im Moment ist das Gefühl und die Stimmung gerade so, als würde hinter jedem Baum eine wilde Bestie lauern. Es regnet nicht, nein es kübelt. Der Himmel ist schwarz und das Gewitter hält sich unheimlich lange über dem Tal. Irgendwie haben wir  auch keine richtige Lust, zwischen den Ruinen der alten Schule von Ndërlysa stehen zu bleiben. Es ist auch erst 5 Uhr nachmittags. So beschließen wir in Richtung Shkodër weiter zu fahren, auch wenn Wetter und Sicht dagegen sprachen und sich der Weg unter dem Auto langsam aufzulösen schien.  Was wir noch nicht wussten, für die nächsten Stunden würden wir keiner Menschenseele mehr begegnen.

Wenn die Natur sich die Straße zurück holt…

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schnell heftiger Regen die „Pistenverhältnisse verändert. Wo es steinig ist, verwandeln sich tiefe Schlaglöcher in kleine Seen. Darin liegende Felsbrocken sieht man nicht mehr und so legen wir den Discovery sicherheitshalber noch eine Stufe höher. Ansonsten wird die Piste sehr schnell schlammig und wir erlebten auch den einen oder anderen kleineren Erdabrutsch.

Alles in allem hieß das überwiegend Schritttempo. Laut Karte sollten wir kleinere Dörfer oder zumindest Häuseransammlungen passieren. Aber auch an Abzweigungen gab es keinerlei Hinweise auf menschliches Leben. Also hielten wir uns an die Strecke nach Shkodër und selbst da war es mitunter schwierig, sich für den richtigen Abzweig zu entscheiden. Hier half uns dann der Kompass.

Eine Nacht in Breg Lumi

Mit Einbruch der Dämmerung kam die Idee in uns hoch, uns für diese Nacht ein Guesthouse zu suchen, zumal die Gewitter weiterhin über uns kreisten. Und nach einigen Kilometern kamen wir dann in so etwas wie Zivilisation. Plötzlich gab es Asphalt auf der Straße, doch wie sich schnell herausstellte, beschränkte sich diese Strecke auf 30 m. Das Dorf hieß Breg Lumi. Aus den Ruinen leuchtete ein schönes gelbes Haus, daneben eine Bar und dann auch schon Orts- und Asphaltende.

Auf der Straße nur Männer. Einer der Albaner konnte recht gut deutsch. So erfuhren wir, dass das einzige renovierte Haus kein Guesthouse sondern Krankenhaus und Bürgermeisteramt zugleich war. Guesthouse? Keine Chance, denn normalerweise verirrt sich hier kaum jemand her.

Nach Rücksprache mit dem Bürgermeister durften wir vor dem Krankenhaus übernachten. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Dicht vors Haus gefahren und Dachzelt für die Nacht präpariert, das alles dauerte Gott sei Dank nur wenige Minuten, gerade so lang wie die kurze Regenpause.

In einer albanischen Bar

Erste Frage: Darf Dagmar da rein? Ja, sie durfte. Zweite Frage: Gibt es etwas zu essen? Ja gab es, Erdnüsse und verschiedene Sorten Chips. Also Erdnüsse. Die Getränkewahl war einfach. Wasser und dazu gab es Raki auf Kosten des Hauses.

Wie stellt man sich eine albanische Bar vor? Keine Ahnung, ob diese hier repräsentativ ist. Ein vielleicht 20 m² großer Raum beherbergt eine selbst gezimmerte Theke und wenige einfache Tische mit Holzstühlen. Hinter der Theke lagern in einem Regalsystem aus alten Kisten die Vorräte, außer den erwähnten Chipsvariationen noch Getränke in Dosen. Eine frei hängende Stromleitung, ein Sicherungskasten. Das war‘s. Das nächste Gewitter rollt an und schon sitzen wir gemütlich im Kerzenschein, denn der Strom ist das erste, was bei diesem Wetter zusammenbricht. Wir reden noch ein bisschen mit dem Albaner, der uns zuvor so nett auf Deutsch begrüßt hatte.

Ist in Albanien das Glas halb voll oder halb leer?

In diesem Dorf auf jeden Fall halbleer. Die Leute haben keine Perspektive. Man fährt einmal die Woche nach Shkodër, um die notwendigen Einkäufe zu tätigen, hauptsächlich Vorräte für die Bar. Die Familien sind weitgehend Selbstversorger. Frauen sind auf der Straße nicht zu sehen. Lebensmittelpunkt der Männer ist die Bar. Die durch Erdbeben zerstörten Häuser bleiben sich selbst überlassen. Das Krankenhaus wurde von den USA gesponsert, sieht allerdings im Inneren eher wie ein Gefängnistrakt aus. Und wieso spricht der Mann so gut deutsch? Unzählige Folgen der Simpsons im Fernsehen sind dafür verantwortlich. Und auf deutsch sagt er uns: „Wenn du hier krank wirst, dann bete, dass dich ein Helikopter nach Tirana bringt“.

Die Glas-halb-voll-Fraktion trafen wir natürlich in Theth, wo man nicht nur die Häuser restauriert, sondern auch rührig und gastfreundlich im Tourismus aktiv ist: Aber auch in anderen Gegenden, am Lake Shkodra, am Koman-See oder in Krujë, wo ein orientalischer Basar die Touristen anlockt. Viele Albaner wollen den Kommunismus hinter sich lassen, ihr Land aufbauen und sind dabei sehr kreativ. So wie Jimmy, der seine Gäste über den Peak-of-the-Balkans-Trail führt oder die Betreiber dieses tollen Campingplatz am Lake Shkodra. Waschanlagen sind auch ein neues Geschäftsmodell. Es gibt unzählige davon, je näher man Tirana kommt. Hauptsache man ist irgendwie im Geschäft.

Die andere Seite sehen wir hier. Die Menschen resignieren und verfallen in Lethargie. Im Prinzip haben sie aufgegeben. Aber so ist es wohl immer in einer Gesellschaft. Nur wird es abseits der Pfade so deutlich.

 Nach dem Frühstück schon betrunken?

Früh mit dem ersten Vogelgezwitscher sind wir auf. Kein Mensch zu sehen. Während ich das Frühstück zubereite, kommt der Schäfer vorbei, um seine kleine Herde in die Berge zu treiben. Da unser Schäfer aber noch nie einen Geländewagen mit Dachzelt gesehen hat, kommt er erstmal zu uns rein. Nur zu dumm, dass Dagmar gerade noch in der Dusche steht. Also mache ich die schnell von außen zu und unterhalte mich mit dem Schäfer mit Händen und Füßen, während dieser dreimal ums Auto läuft. Dann zieht er fröhlich pfeifend weiter – erste Klippe umschifft, solange hat Dagmar noch nie geduscht.

Wir sitzen beim Frühstück. Es ist zwar noch bewölkt, aber trocken. Jetzt besucht uns der Bürgermeister. Dessen Job besteht darin, Raki in die Bar zu bringen. Und so läuft er mehrmals freundlich nickend an uns vorbei, immer ein paar Flaschen unter dem Arm. Und schließlich gibt er uns einen aus. Vor uns stehen zwei 0,2l Wassergläser voll mit Raki. Da man uns von der Bar aus gut sieht, besteht nun die Aufgabe darin, den Schein zu wahren und so zu tun, als ob Raki unser Lieblingsfrühstücksgetränk sei – mein Gott, was für ein langes Wort.

Also Zeit zum Aufbruch, die Bar ist bereits voll.

Ein Paradies für Offroader

Der Tag heute gestaltet sich dann doch lebendiger. Offroad at its best.

Für die 36 km nach Shkodër brauchen wir 7 Std bzw. wir lassen uns solange Zeit. Die Pistenverhältnisse sind wie gestern, steinig, große Steine auf dem Weg, schlammig, kleine Schlaglochseen und Erdrutsche. An vielen engen oder steilen Passagen beten wir, dass uns kein Fahrzeug entgegenkommt und merken uns die Einbuchtungen, zu denen wir möglicherweise zurückmüssen. Bis auf 3x haben wir Glück. Es dauert dann halt ein wenig, bis man aneinander vorbei ist.

 

Es geht hoch auf 1200 Meter. Am Pass gibt es eine kleine Bar, die nicht viel anders aussieht als die in Breg Lumi. Das war es dann auch schon an Zivilisation unterwegs. Wir treffen Albaner im Minibus oder Mercedes wie üblich. Ansonsten sind Offroader unterwegs. Vor uns zwei Toyota Landcruiser mit Kabine, hinter uns ein Konvoi Touaregs, eine geführte Offroad-Tour. Ab Prekali ist die Strecke dann gut befahrbar und kann bald wieder als Straße bezeichnet werden.

Und was macht man nach so einem Tag. Es sich gut gehen lassen. Wir bekamen den Tipp vom Lake Shkodra Ressort von den Toyota-Fahrern, die wir abends dort wieder trafen, neben anderen Offroadern und Bikern. Die schlechte Nachricht. Es regnet sich ein. Die gute Nachricht. Tolle Duschen und Sanitärräume und ein Restaurant mit leckerem mediterranen Essen. Und wir können auch noch Brot und Milch für den nächsten Morgen bestellen.

Im nächsten Artikel: das Wetter wird nicht besser. Bleiben oder fahren?

Vorheriger Artikel: Albanien – im Theti Nationalpark

 

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