Samstag morgen, wir wollten um 9.00 Uhr am Start in Stühlingen am Bahnhof sein, doch die Businesstermine vom Vortag sorgten dafür, dass sich alles etwas verzögerte. Also noch schnell zum Bäcker und zur Bank und mit frischen Croissants im Gepäck ging´s los. Der Himmel war leicht bewölkt, die Folge der Unwetter der letzten beiden Tage, doch die Sonne setzte sich immer mehr durch und so fuhren wir ab Lenzkirch offen. Dagmar informiert mich unterwegs über unseren Startort Stühlingen, man sagt auch Hohenlupfenstadt Stühlingen, der Name kommt durch das Schloss Hohenlupfen oberhalb der Stadt. Im ortsansässigen Kapuzinerkloster könnte man auch eine Auszeit nehmen, wenn man die Stille sucht. Stühlingen grenzt unmittelbar an den Schweizer Kanton Schaffhausen, die Wutach fungiert als Grenzfluss. Wir beschließen, dass ein Abendessen in Stühlingens historischer Altstadt den Abschluss unserer sechstägigen Tour bilden sollte.
10.47 Uhr laufen wir los. Am Anfang müssen wir uns einlaufen, an die schweren Rucksäcke gewöhnen, die Hüftmuskulatur meldet sofort ungewohnte große Belastung. Die erste Pause wird Dagmar gleich zum Umpacken nutzen, sie hat zuviel Gewicht im oberen Teil des Rucksacks. Wir halten durch, denn wir wissen, es dauert einen halben Tag, bis man sich „eingegroovt“ hat.
Wir laufen direkt einen schmalen Pfad am Wutachufer entlang. Dieser Bereich soll renaturiert werden, d.h. bis 2021 soll durch verschiedenste Maßnahmen wieder eine dynamische Auenlandschaft entstehen. Auf einer Informationstafel lernen wir Begriffe wie Gewässerdynamik, Uferdynamik, Uferhabitat, Ufererosion und Mindestrestwasserregelung und sind beeindruckt vom Umfang dieses Projektes.
Dann nach 3,5 km die erste Pause. Wir sind bei Weizen Bhf. und blicken auf ein imposantes Gebäude der Sto AG. Die Sto AG ist führender Spezialist wenn es um die Wärmedämmung beim Altbau, Wärmedämmung der Fassade oder die Wärmedämmung im Haus geht, alle Gipser, die man so bei der Arbeit beobachtet, haben die gelben Eimer dieser Firma im Einsatz. Also gut zu wissen, wo die ihren Sitz haben.
Offensichtlich sind wir nicht die einzigen mit zeitlichen Anlaufschwierigkeiten, denn während wir uns mit einem Mitarbeiter des Schwarzwaldvereins unterhalten, laufen zwei Schweizerinnen an uns vorbei sowie zwei Männer jenseits der 50, die wir später auf den Etappen häufiger treffen werden.
Der Naturparkwart erzählt uns, er sei u.a. zuständig für die Beschilderung, denn einige Touristen würden das Schluchtensteigschild als schönes Souvenir betrachten. Wir erfahren von ihm, dass die Wutachflühen mit der spektakulärste Abschnitt des ganzen Schluchtensteigs sein soll. Was Flühen genau bedeutet, wollten wir von ihm wissen, doch das möchte er uns erst später verraten, denn er ist sich sicher, dass er uns im Laufe des Tages noch mal trifft.
Auf schmalen Waldwegen geht es nun bergan, die ersten Höhenmeter. Die Sonne strahlt in den Wald und wir genießen die eindrucksvollen Lichtspiele zwischen den Bäumen.
Tatsächlich fällt uns jetzt auch auf, wenn mal ein Wegzeichen des Schluchtensteigs fehlt. Da wir aber gleichzeitig auf dem Ostweg bzw. dem Wutachtalweg laufen, finden wir immer den Weg.
Nach knapp 8 km erreichen wir dann das Gasthaus Wutachschlucht. Das Ambiente des Gasthauses ist nicht sehr einladend, schnöde grüne Plastikstühle, ein Partyzelt als Regenschutz und mittäglicher Kioskbetrieb. Doch es ist kurz vor 14 Uhr und wir freuen uns über eine Pause und einen kühlen Drink. Und wo man es nicht erwartet, gibt es noch eine positive Überraschung: Blumegger Blütenschorle aus Schafgarbe, Rotklee und Mädesüßblüten, alles Bio versteht sich. Ruth Biller aus Blumegg ist es gelungen, ein wohlschmeckendes leicht herbes Erfrischungsgetränk herzustellen, schmeckt super, sehr empfehlenswert. Uns gegenüber sitzt ein Paar beim Mittagessen, als Jochen und Barbara aus Hamburg werden sie sich uns später vorstellen. Auch sie werden wir fast bis zum Schluss immer wieder treffen. Sie laufen mit leichtem Gepäck, haben alles vorreserviert und fragen uns ernsthaft, ob wir denn nicht wüssten, dass es auf der Strecke Pensionen gäbe.
Auf den nächsten 1,5 km folgt der Schluchtensteig dem Eisenbahnlehrpfad, beginnend beim Bahnhof Lausheim-Blumegg. Wir passieren die Eisenbahnbrücke Ost, ein imposantes Bauwerk, 107,5 m lang und 28 m hoch. Wären wir jetzt 10min. später dran gewesen, hätten wir die Sauschwänzlebahn über die Brücke fahren sehen können. Die Sauschwänzlebahn – von einer echten Dampflok gezogen – verkehrt auf einer Strecke von 25 km zwischen Stühlingen und Blumberg und gilt als Touristenattraktion.
Wir haben sie auf dieser Etappe nie gesehen aber mehrmals gehört, schon das war eindrucksvoll.
Nach kurzer Pause beginnt jetzt der Aufstieg in die Wutachflühen. Flühe bedeutet Felswand. Tatsächlich erinnern die Felsformationen und Steinsäulen an das Elbsandsteingebirge bei Dresden oder an das mittlere Donautal zwischen Kloster Beuron und Sigmaringen. Der Weg ist anstrengend, felsig und reich an Wurzeln. Dementsprechend konzentriert müssen wir gehen. Öfter fragen wir uns, was wohl anstrengender ist, bergauf oder bergab?
Gleichzeitig ist hier Bannwaldgebiet, d.h. Totalreservat, keine Eingriffe in die Natur. Baumwurzeln verschmelzen mit Felsen und halten sich gegenseitig. Auf der ganzen Strecke begegnen uns lediglich zwei Wanderer. Mehr oder weniger sind wir allein mit uns und der Natur. Von vereinzelten Schreien der Wanderfalken und dem Getöse der Wutach tief unter uns abgesehen, machen die einzigen Geräusche wir selbst. Ein toter Baumstamm über einem Bach bietet sich uns als Sitzgelegenheit und Ablagefläche für die Rucksäcke an. Wir machen Pause, kochen Kaffee und genießen die Stille. Inkl. Pause benötigen wir für die 4 km durch die Wutachflühen 2,5 Std.
Der Naturparkwart hatte absolut recht, dieses wenig frequentierte Endstück der Wutachschlucht ist wirklich eines der beeindruckendsten Abschnitte des ganzen Schluchtensteigs. Das hatten wir auf dieser ersten Etappe überhaupt nicht erwartet. Wir steigen etwa auf der Mitte der Strecke aus, um weiter Richtung Buchberg und Blumberg zu wandern. Der Schluchtensteig verlässt hier den Ostweg. Es ist sicher eine tolle und empfehlenswerte Tagestour, von Achdorf aus die dann etwa doppelt so lange Strecke durch die Flühen bis zum Bahnhof Lausheim-Blumegg zu wandern und dann mit der Sauschwänzlebahn Richtung Blumberg zurückzufahren.
Es ist 17 Uhr 15 und es sind noch 6 km bis Blumberg. Vor uns liegt noch der ambitionierte Aufstieg auf den Buchberg. Die Landschaft wechselt. Wir laufen jetzt über Wiesen und vorbei an Ackerflächen. Mais als Energiepflanze wird uns erklärt. 1 ha Mais liefert Treibstoff für 90.000 km Autofahrt. Wir unterhalten uns über die derzeit anhaltende Diskussion, ob Mais überhaupt zur Energiegewinnung genutzt werden soll, solange es auf der Welt Hunger und Unterernährung gibt. Ganz interessant waren dazu die Ausführungen der Präsidentin der Welthungerhilfe Bärbel Dieckmann vor kurzem auf SWR 1. Danach werden weltweit nur 6% der Maisproduktion zur Energiegewinnung verwendet. Länder wie Brasilien entscheiden jährlich flexibel über die jeweilige Quote und schaffen dabei einen guten Kompromiss zwischen notwendigen Arbeitsplätzen einerseits und einer ausreichenden Produktion an Mais als Nahrungsmittel andererseits.
Wir erreichen den Fuß des Buchbergs. Der steile faste senkrechte Anstieg stoppt jede Diskussion. Wir brauchen die Luft zum Atmen. 200 Höhenmeter sind zu überwinden. Ich laufe voraus, stelle meinen Rucksack ab und komme Dagmar entgegen, um ihr den Rucksack abzunehmen. Der letzte km bis zur Buchberghütte kommt uns endlos vor. Doch dann die ersehnte Pause. Wir vespern bei einem tollen Ausblick ins Tal. Dabei diskutieren wir, ob wir hier unser Nachtlager aufschlagen sollten. Der Platz ist ideal, eine Schutzhütte, dahinter ein Stück Wiese, eine Picknickbank, nur kein Wasser und unsere Wasserflaschen sind fast leer. So beschließen wir, doch noch nach Blumberg abzusteigen. Zwei Frauen begrüßen uns am Ortseingang und wir plaudern kurz über unser Wandervorhaben. Wir fragen nach einer Möglichkeit unser Wasser aufzufüllen und erfahren, dass der Friedhof, vor dem wir stehen mit Quellwasser gespeist wird.
Und plötzlich wird unsere Planung schlagartig über den Haufen geworfen. Noch während wir unsere Wasserflaschen füllen, zieht ein Gewitter auf und es beginnt zu regnen. Also Jacken an, Regenschutz über die Rucksäcke und noch 500 m bis zum Hirschen, den uns die nette Frau empfiehlt.
„Sie kommen als Gäste und bekommen das Beste“, so wirbt Jochen Salomon, der uns freundlich empfängt, aber leider kein Zimmer mehr frei hat. Aber kein Problem, ein kurzes Telefonat und 10 min später holt uns die Wirtin des Gästehaus Ursula mit ihrem Mercedes ab. So landen wir in der ersten Nacht nicht im Zelt sondern in der Pension in einem von 4 Doppelzimmern. Aber bei Gewitter wollten wir das Risiko nicht eingehen, im Nachhinein ein gute Entscheidung, denn es regnete die ganze Nacht. Also eine heiße Dusche, Klamotten zum Trocknen aufhängen und ein Bier als Schlaftrunk auf dem überdachten Balkon… und siehe da, wer lacht im Zimmer nebenan, die beiden Schweizerinnen, die uns morgens überholt hatten.